Förderung von Artenwissen und Kohärenz im Lehramtsstudium
Artenkenntnis und Artenwissen
Die Vergleichbarkeit von Studien zur Artenkenntnis wird durch die Begriffsbestimmung erschwert. Artenkenntnis ist vom Begriff Formenkenntnis abzugrenzen. Hier sind die unterschiedlichen systematischen Rangstufen (z. B. Ordnung, Familie & Gattung) zu nennen, auf die sich die jeweilige Untersuchung bezieht und ob eine Wertung auf Artniveau oder Niveau eines höheren Taxons erfolgt (Gerl, 2023).
Hooykaas et al. kombinieren in ihrem weiten Konzept der „species literacy“ die Fertigkeiten zur Artidentifizierung sowie breites und tieferes Wissen über Arten und Bewusstsein für Artenvielfalt (Hooykaas, Schilthuizen, Albers & Smeets, 2022; Hooykaas et al., 2019). Mayer und Horn (1993) erörtern ein ähnliches Konzept wiederum unter dem Begriff Formenkenntnis.
Thomas Gerl und Monika Aufleger differenzieren in ihrem Kompetenzstrukturmodell der taxonomischen Bildung das Erkennen von Arten als Teil des Kompetenzbereichs Fachwissen in „Formenkenntnis“ (Erkennen eines höheren Taxons), „Artenkenntnis“ (Benennung auf Artniveau) und „Wissen über die Art“ (Tiefenwissen zu einer Art: z. B. Ökologie, Systematik, Lebensweise usw.) (Aufleger & Gerl, 2022). Die AutorInnen beschreiben diese drei Bereiche als Anforderungsniveaus und somit als unterschiedlich komplexe Niveaustufen. Gleichzeitig weisen Sie aber auch darauf hin, dass diese Niveaustufen wechselseitig eng miteinander zusammenhängen und dazu beitragen, die Vielfalt des Lebendigen zu erschließen (Aufleger & Gerl, 2022).
Alle genannten AutorInnen ordnen Artenkenntnis in einen größeren Rahmen mit anderen Facetten ein. Dies ermöglicht die Betrachtung möglicher Zusammenhänge dieser Facetten. In diesem Forschungsvorhaben wird der Terminus Artenwissen als Rahmung genutzt, um die drei von Aufleger und Gerl vorgeschlagenen Bereiche in Beziehung zu setzen. Die Bereiche werden hierbei jedoch als Dimensionen des Artenwissens gefasst, da beispielsweise Artenkenntnis völlig unabhängig von Formenkenntnis existieren kann und nicht zwangsläufig ein höheres Komplexitätsniveau aufweist (z. B. Kenntnis von typischen Familienmerkmalen gegenüber Kenntnis von typischen Artmerkmalen). In Abgrenzung von species literacy werden Fertigkeiten zur Artbestimmung (z. B. Bestimmen und Beobachten) und das Bewusstsein für Artenvielfalt nicht mit in das Konstrukt integriert, um dieses besser auf kognitive Aspekte eingrenzen zu können. Auch Gerl und Aufleger trennen in ihrem Kompetenzstrukturmodell das Bestimmen einer Art vom Erkennen einer Art (Aufleger & Gerl, 2022).
Die Relevanz von Artenkenntnis als Teil des Artenwissens lässt sich mit Blick auf die eingangs dargestellte globale Biodiversitätskrise unterstreichen. So ist Artenkenntnis nach Sturm und Berthold ein bedeutender Teil der Biodiversitätsbildung und hat dabei Einfluss auf das Verständnis von biologischer Vielfalt bis hin zu Bewertungsprozessen von Schutzmaßnahmen (Sturm & Berthold, 2015). Auch sind Artenkenntnisse Kristallisationspunkte für tieferes Verständnis von ökologischen Zusammenhängen (Magntorn & Helldén, 2007).
Hohe Artenkenntnis hat einen Einfluss sowohl auf das Umweltwissen, als auch auf das Umweltbewusstsein (Härtel, Randler & Baur, 2023). Artenkenntnis kann als Teil des Umweltwissens Voraussetzung für nachhaltiges Verhalten sein (Blessing, 2007).
Für angehende Biologielehrkräfte ist Artenkenntnis somit zum einen ein fachspezifischer Ansatzpunkt zur Erschließung von Biodiversität und zum anderen ein Baustein zur Sensibilisierung von Schülerinnen und Schülern in Bezug auf die Biodiversitätskrise (s. SDG 15.5) (United Nations, 2015).
Kohärenz
Die zentrale Aufgabe von Lehrkräften ist die Planung, Organisation und Reflexion von Unterricht (KMK, 2004). Dabei müssen Lehrkräfte Professionswissen aus den drei Bereichen Fachwissen, fachdidaktisches Wissen und bildungswissenschaftliches Wissen nutzen (Hellmann, 2019). In Vorbereitung auf die Berufsausübung ist es Aufgabe der ersten Phase der Lehrkräftebildung, eine systematisch verknüpfte Wissensbasis zu schaffen (Cochran-Smith & Zeichner, 2005). Der Aufbau dieser wird allerdings durch die Fragmentierung von Strukturen und Inhalten im Studium gerade zwischen, aber auch innerhalb der Facetten des Professionswissens erschwert (Hammerness, 2006; Hellmann 2019). Das erworbene Wissen wird häufig träges, schwierig integrierbares Wissen (Hellmann, 2019).
Die Herstellung von Kohärenz ist eine Möglichkeit, um Studienstrukturen und Wissensinhalte miteinander zu verknüpfen. „Kohärenz beschreibt eine sinnhafte Verknüpfung von Strukturen, Inhalten und Phasen der Lehrerbildung. Kohärente Lehr-Lern-Gelegenheiten stellen systematische Bezüge her, welche es den Lernenden ermöglichen, diese Strukturen, Inhalte und Phasen als zusammenhängend und sinnhaft zu erleben“ (Hellmann, 2019, S. 9).
Kohärenz wird in formell-institutionelle Kohärenz, also die curricular dargestellte Verzahnung, und informell-individuelle Kohärenz, die von Studierende selbst wahrgenommene bzw. konstruierte Kohärenz, unterschieden (Cramer, 2020). Im Lehramtsstudium in Deutschland ist die wahrgenommene Kohärenz besonders gering (Hsieh et al., 2011).
Empirische Untersuchungen zeigen, dass
- Kohärenz die systematische Vernetzung von Wissensinhalten begünstigt,
- kohärente Studieninhalte die Motivation und das Interesse und den erlebten Kompetenzzuwachs von Studierenden in Bezug auf ihr Studium fördern und
- die vertiefte Wissensverarbeitung positiv beeinflusst wird (Hellmann, 2019).
Informell-individuelle Kohärenz wird vom Subjekt konstruiert. Daher ist auch die Betrachtung von Studierendenperspektiven sinnvoll. Die Verbindung von Lehrveranstaltungsinhalten und besonders von Theorie und Praxiserfahrungen ist ein expliziter Wunsch von Studierenden. Fachinhalte sollen dabei handlungsorientiert aufbereitet, ihre Bedeutsamkeit herausgestellt und die Schulrelevanz und Brauchbarkeit im Unterrichtskontext untersucht werden (Joos, Liefländer & Spörhase, 2019). Abbildung 1 zeigt, wie Kohärenzherstellung im Rahmen des Lehramtsstudiums als Angebots-Nutzungs-Modell beschrieben werden kann.
Cramer (2020) weist darauf hin, dass Kohärenzherstellung durch eine Vernetzung der Inhalte mit dem Ziel des Transfers der wissenschaftlichen Theorie in die Schulpraxis nicht treffend ist. Er spricht in diesem Zusammenhang eher von Relationierung als eine kontextspezifische Beschreibung der Beziehung eines Fachinhalts aus wissenschaftlich theoretischer Sicht und schulpraktischer Sicht.
So bleiben die Grenzen zwischen den Wissensformen erhalten. Kohärenz entsteht hierbei in der Schaffung einer distanzierten dritten Betrachtungsebene (Cramer & Schneider, 2020). Kohärenzherstellung durch Relationierung meint hier „[den] meta-reflexiven Akt, denselben Gegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, (In-)kongruenzen zu erkennen und sich der eingenommenen Perspektive bewusst zu sein.“ (Cramer, 2020, S. 271).
Zusammengefasst kann Kohärenz so auch in Bezug auf Artenwissen durch multiperspektivische Betrachtung konstruiert werden. Dies fördert wie bereits erwähnt die Wissensverarbeitung, Vernetzung von Wissensinhalten, motivationale Aspekte und Interesse in Bezug auf Artenwissen.
Kohärente Lehr-Lern-Gelegenheiten lassen sich beispielsweise mit den folgenden Methoden realisieren: Fallarbeit, forschendes Lernen, phasenübergreifende Projekte, Mentoring, begleitete Langzeitpraktika, Unterrichtssimulationen, Portfolioarbeit und explizite Relationierung (Cramer, 2020).
Abbildung 2 zeigt, wie Kohärenz in Bezug auf den Fachinhalt Artenwissen zwischen zwei Säulen der Lehrkräftebildung hergestellt werden kann (in Anlehnung an das Freiburger-Säulen-Phasen-Modell (Hellmann, 2019)).
Fragestellung
Die Betrachtung der Vernetzung zwischen den Säulen der Lehrkräftebildung und der damit verbundenen Effekte auf den Wissenszuwachs der Studierenden stellt ein Desiderat der Kohärenzforschung dar (Hellmann, 2019).
Aus den theoretischen Darstellungen leitet sich folgende Forschungsfrage ab:
Inwiefern kann das botanische und zoologische Artenwissen von Biologielehramtsstudierenden durch Herstellung von Kohärenz als Relationierung von fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Bezügen verbessert werden?
Abbildung 3 zeigt das Studiendesign und die einzelnen Teilstudien.