Mathematisieren im Biologieunterricht

In fast allen Bereichen der Naturwissenschaft Biologie ist die Mathematik als Hilfsmittel im Prozess der Gewinnung neuer Erkenntnisse inzwischen unentbehrlich geworden. Dieser Umstand wird dem Außenstehenden spätestens dann bewusst, wenn er sich mit biologischer Primärliteratur, d. h. mit Publikationen von Biologen in Fachzeitschriften ihrer jeweiligen Fachdisziplin, befasst. Hier werden mathematische Hilfsmittel in vielfältiger Form eingesetzt, um Daten zu analysieren und auszuwerten sowie neu gewonnene Erkenntnisse statistisch abzusichern. Diese Nutzung der Mathematik in der Biologie als gängige wissenschaftliche Praxis steht im Gegensatz zur Praxis im Biologieunterricht, in dem das Mathematisieren als Teil der Kompetenzentwicklung in den Bereichen Erkenntnisgewinnung und Kommunikation einzuordnen, aber nur in geringem Umfang zu beobachten ist. In den Bildungsstandards im Fach Biologie für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2004) finden sich zumeist nur implizite Formulierungen in den Beschreibungen der Kompetenzbereiche, die die Anwendung mathematischer Hilfsmittel erfordern. Der Kompetenzbereich „Bewertung“ kommt hier gänzlich ohne mathematische Hilfsmittel aus, was durchaus kritisch gesehen werden kann.

Eine eigene Studie an ausgewählten aktuellen Schullehrbüchern ergab, dass der Anteil von Aufgabenstellungen, deren Bearbeitung mathematische Fähigkeiten erfordert, in Schullehrbüchern für die Sekundarstufe I kleiner als 3 % ist. Persönliche Erfahrungen zeigen, dass das Hilfsmittel Mathematik zur Beschreibung biologischer Sachverhalte und zum Lösen biologischer Problemstellungen in der Praxis des Biologieunterrichtes zumeist ein Randdasein führt. Zu Unrecht – darüber dürfte Einigkeit bestehen.

Um SchülerInnen, aber auch Lehrer stärker mit dem wissenschaftlichem Vorgehen in der Naturwissenschaft Biologie vertraut zu machen, sollten Anregungen gefördert werden, die das forschend-entwickelnde Unterrichtsverfahren in den Mittelpunkt rücken.

Ausgangspunkt im Biologieunterricht ist das reale Objekt oder Phänomen. Mathematische Modelle und Lösungen von sich aus dem Phänomen ergebenden Problemstellungen sind eine Abstraktion. Diese sollte für die SchülerInnen nie den Bezug zum realen Objekt verlieren.

Neue, bzw. inzwischen auch für die Schule verfügbare Technik zur Messwertaufnahme und –verarbeitung eröffnet auch neue Möglichkeiten, Messwerte zu gewinnen, auszuwerten und darzustellen. Prozesse des Stoff- und Energiewechsels, des Wachstums und der Entwicklung, aber auch in der Physiologie, Ökologie und Verhaltensbiologie lassen sich technisch immer einfacher, präziser und in größerem Umfang erfassen (elektronische Messwertaufnahme, Zeitrafferfunktionen, Datenlogger), darstellen (einfaches Erstellen und Interpretieren von Diagrammen), auswerten und modellieren (Iterationsreihen in Tabellenkalkulationen, Anpassung von Funktionen zu den gewonnenen Messwerten, Berechnung von Regressionen). 

Aus fachdidaktischer Sicht besteht deshalb unverändert der Wunsch, Mathematik als ein mögliches Hilfsmittel auf dem Weg zum Erkenntnisgewinn stärker in den Biologieunterricht zu integrieren. Gerade wissenschaftspropädeutisch betitelte Ansätze wie „Forschend Lernen“ oder das aus der Chemiedidaktik bekannte Modell des forschend-entwickelnden Unterrichts (Schmidkunz und Lindemann 2003) erfordern die Anwendung mathematischer Hilfsmittel, wenn sie ihrer Bezeichnung gerecht werden sollen.

Dies ist Motivation, das Thema in einem Themenheft der Zeitschrift „Unterricht Biologie“ aufzugreifen.

Literatur

KMK - Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2005). Bildungsstandards im Fach Biologie für den Mittleren Schulabschluss. Luchterhand-Verlag.

Schmidkunz, H. und Lindemann, H. (2003): Das forschend-entwickelnde Unterrichtsverfahren. – Problemlösen im naturwissenschaftlichen Unterricht. 6. Auflage, Westarp Wissenschaften-Verlagsgesellschaft, Hohenwarsleben